Brad Mehldau
Artist in Residence
Mo 7. – Do 10. Dezember 2020
Keine Frage: Nicht erst seit dem Grammy 2019 zählt Brad Mehldau zu den bedeutendsten Jazzpianisten unserer Zeit. Spätestens Charles Lloyds zwanzig Jahre zurückliegendes ECM-Album "The Water Is Wide" unterstrich Mehldaus Stellung. Peter Rüedi, schrieb damals, nachzulesen in seinen gesammelten Kolumnen, Billy Higgins sei die eine Sensation dieser CD, "die andere ist die Gegenwart jenes Pianisten, der in den letzten Jahren zum eigentlichen neuen Star avancierte, Brad Mehldau. (…) Zusammen mit seinem sparsamen Kontrapunkt, dem Gitarristen John Abercrombie, und über dem wunderbar raffiniert einfachen Bass seines langjährigen Partners Larry Grenadier schafft er einen geradezu sakral-intimen Innenraum für Lloyds Kantilenen."
Mehldaus Biografie spricht von seiner dichotomischen, einer zweigeteilten musikalischen Persönlichkeit: Er sei in erster Linie Improvisator und schätze die Überraschung und das Wunder, das aus einer spontanen musikalischen Idee entstehen könne. Er habe jedoch auch eine tiefe Faszination für die formale Architektur der Musik, und in seinem inspirierten Spiel diene die Struktur seines musikalischen Denkens als Ausdrucksmittel. Während er spiele, höre er zu, wie und in welcher Folge sich Ideen entwickelten. Die beiden Seiten seiner Persönlichkeit – hier der Improvisator, da der Formalist - spielten gegeneinander und der Effekt sei oft so etwas wie ein kontrolliertes Chaos. Ein Chaos jedoch, wäre zu präzisieren, das sich im harmonischen Spiel Mehldaus nie als solches, sondern als Spannung äussert.
Einflüsse von McCoy Tyner, Keith Jarrett, Bill Evans, aber auch von Brahms, Schubert und vom Pop seiner Jugend werden gerne genannt, doch Mehldau spielt immer Mehldau: ob Standards, Beatles-Songs oder seine eigene Musik. Und hat er auf einer Reihe von Aufnahmen ausserhalb des Jazz mitgewirkt, "Love Songs" mit der schwedischen Mezzosopranistin Anne-Sofie von Otter etwa, seine Musik ist in mehreren Filmen zu hören, darunter in Stanley Kubricks "Eyes Wide Shut" und in Wim Wenders "Million Dollar Hotel". Zu "Ma femme est une actrice" von Yvan Attal mit Charlotte Gainsbourg komponierte er den Soundtrack und für die Carnegie Hall zwei Werke für Gesang und Klavier.
Seit 1995 ist Brad Mehldau mit seinem kongenialen Trio mit Larry Grenadier unterwegs, in den ersten zehn Jahren mit Jorge Rossy am Schlagzeug, seither mit Jeff Ballard. Bis zur Lloyd-Platte waren bereits fünf Alben unter dem Titel "The Art of the Trio" erschienen, insgesamt ein Dutzend Alben als (Co-)Leader. Er nahm mit Chris Potter, Larry Grenadier und Billy Hart und zwei Alben mit Lee Konitz und Charlie Haden auf, Platten mit John Scofield und Wayne Shorter, Kurt Rosenwinkel, Chris Cheek, Jimmy Cobb, Renée Fleming und vielen mehr, darunter 2009 "Live at Birdland", nochmals mit Lee Konitz und Charlie Haden, an den Drums Paul Motian.
2005 erschienen eine Duo-CD mit Pat Metheny, erweitert durch Grenadier und Ballard und eine zweite mit derselben Besetzung als Metheny Mehldau Quartet. Der Gitarrist bezeichnete ihn als "The most exciting pianist to come along since Herbie Hancock".
In den vergangenen Jahren nahm Mehldau auch mit dem aussergewöhnlich stimmigen Quintett Wolfgang Muthspiels mit Ambrose Akinmusire, Larry Grenadier, Brian Blade/Eric Harland "Rising Grace" und "Where the River Goes" auf.
In seinen letzten Alben zeigt Mehldau auch deutlich eine politische Haltung, auf "Seymour Reads the Constitution!" (2018) mit seinem Trio stellt er den plappernden präsidialen Tweets Integrität und Vision der amerikanischen Verfassung gegenüber.
Zu "Finding Gabriel" mit diversen Musikerinnen – Ambrose Akinmusire, Mark Guiliana, Becca Stevens, Chris Cheek u.a. – erklärte Brad, er habe sich für die biblischen Weissagungen interessiert, um die gegenwärtigen politischen Konflikte zu verstehen. Ausser am Piano ist er dabei – wie im Duo Mehliana (2014) mit dem Drummer Mark Giuliana – auch mit zahlreichen andern Tasteninstrumenten zu hören.
Mit "Round Again" erschien 2019 ein Album in derselben Starbesetzung Joshua Redmans wie 1994 auf dem Album "Moodswing" mit Christian McBride und Brian Blade. Die vorgesehene Tour wurde durch die Pandemie verhindert.
Sein letztes Solowerk – "April 2020" – sei ein ganz neuer Prozess gewesen, wie Mehldau der Süddeutschen Zeitung verriet, weil er erstmals seine Eindrücke eines Weltereignisses, Covid-19, ganz direkt illustriert habe. So etwas Aktuelles habe er noch nie zuvor gemacht. Den Gewinn des Albums lasse er der Jazz Foundation of America zukommen, die Musikern in Not hilft, vor allem in New York City.